KIRGISIEN- EXKURSION `91

von Harry KIRSAMER

...als die Räuber gegangen waren, stieg Aladin von seinem Baume und rieb sich mit dem Ärmel seines Kaftans die Augen. Hatte er dies alles nur geträumt? Er untersuchte die Felswand, die sich eben auf so wundersame Weise geöffnet hatte, aber es war keine Spalte zu sehen- nicht die kleinste Ritze war zu erkennen. "Wie war der Zauberspruch?" fragte Aladin sich selbst, "Ich werde es versuchen". Aladin ging- wie die Räuber vor nicht allzulanger Zeit- einige Schritte zurück, holte tief Luft und rief mit fester Stimme:

"Sesam öffne Dich".

Leise begann die Erde zu beben und die eben noch unbezwingbar erscheinende Wand aus festem Stein öffnete sich wie von Götterhand nach beiden Seiten.

"Allah il Allah we Mohammed Rassul Allah" rief Aladin erschrocken und am ganzen Leibe zitternd.

Vor ihm lag nun ein mehr als mannshoher

HÖHLENEINGANG !

Als Aladin seinen Schrecken überwunden hatte, trat er langsam und vorsichtig in die Höhle ein. Kleine Öllämpchen erleuchteten ihr Inneres. Was Aladin nun sah machte ihn staunen: Truhen überquellend von Gold und Silber, Perlenketten, Edelsteine, wertvolle Elfenbeinschnitzereien, Münzen. Stoffe von feinster Seide und Brokat. Solche Kostbarkeiten hatte Aladin in seinem Leben noch nicht gesehen. Singend und tanzend füllte er sich alle Taschen, endlich hatte seine Armut ein Ende, nie wieder wollte Aladin des winters Hunger leiden und niemand soll ihn seiner Armut wegen dehmütigen...

Ähnliche Gefühle wie Aladin sie einst gehabt haben mag, erfüllten auch unsere Seelen als wir im August '91 die Surpris-Pjeschera in der zentralasiatischen Unionsrepublik Kirgisien besuchten. Die Schätze, die sich uns boten, waren jedoch nicht von Gold und Silber sondern aus reinstem Kalk. In dieser Höhle waren es riesige Kalzit-Einkristalle mit einem 6-seitigen Querschnitt und einer Dreieckspyramide als Kristallspitze. Der Mineraliensammler nennt solchen monokristallinen Kalzit "Isländer Doppelspat". Die Kristalle in der Surpris-Höhle waren 20 cm und länger bei einem Durchmesser von bis zu 8 cm! Bedrohlich wie die Spitzen von hundert Lanzen reichen die Kristalle in den Raum. Und doch-, oder gerade deshalb geht eine unglaubliche Faszination von diesen Riesenkristallen aus, die so wenig an die matten Kalkfelsen unserer Heimat erinnern.

Karte mit der Lage von Kirgisien

Diese Naturschönheiten sind in einem Zeitraum entstanden,als heißes Wasser mit einer Temperatur zwischen 42 und 74 °C durch die Höhle zirkulierte. Dieses Wasser hat langsam und behutsam Atom um Atom, Molekül um Molekül, Kalzium und Karbonat immer an der richtigen Stelle am Kristall angelagert und so die Riesenkristalle geschaffen.

Es war dunkle Nacht, als wir die Höhle verließen. Wild sah der enge Canyon aus, durch den der Fluß sich gefressen hatte und der Pfad, der an der Felswand entlanggeht,erweckt kein Vertrauen. Die Seilbrücke, die wir über den Fluß gespannt hatten, war verheddert und wir sind zu einem langen Umweg gezwungen

( So lang war er eigentlich gar nicht...).

Die Vieh- und Dorfbrücke erlaubt uns dann eine gefahrlose Flußquerung. Aber dieser Flußkies, der hier überall das Ufer bildet-, überall blinkt und blitzt es uns entgegen, unsere Karbidlampenflämmchen zeigen uns, was wir vorher glanzvoll übersahen: Isländer Doppelspat und viele andere Riesenkristalle ,auf denen wir vorher so achtlos herumgetrampelt waren. Dieser nächtliche Spaziergang offenbarte uns noch mehr von Aladins Schätzen, wir waren von Sinnen!

KIRGISIEN heißt das Land, in dem unsere Höhlenforscher-Sehnsucht seine Erfüllung fand, es ist eine der mittelasiatischen Unionsrepubliken der ehemaligen Sowjetunion, die Bewohner sind Orientalen und Russen.

Noch vor nicht allzu langer Zeit war dieses Land Teil eines großen islamischen Reiches, dessen Zentren Samarkand und Buchara waren. Im Laufe des letzten Jahrhunderts zerfiel dieses Reich jedoch unter dem Einfluß fremder Mächte und Waffen in viele Teile. Von Süden versuchten die Briten sich Kolonialgebiete zu sichern, das heutige Indien und Pakistan resultieren daraus, von Osten weiteten die Chinesen ihre Staatsgrenzen bis nach Kaschgar hinaus und das zaristische Rußland errichtete Garnisonsstädte wie Alma Ata und Frunze, beides junge Retortenstädte mit Schachbrett- Stadtplan.

Wie war es überhaupt zu dieser Reise in solch ein exotisch anmutendes Land gekommen?

Der Grundstein wurde wie schon oft in einer internationalen Tagung gelegt. Am Welthöhlenkongress '89 im Budapest lernten unsere Gmünder Freunde Andi Abele und Dani Gebauer einen Höhlenforscher aus Kirgisien kennen, es wuden Adressen getauscht und Freundschaft getrunken. Wochen später ließ ich gemeinsam mit Dani Fernweh walten. Dani sprach zu mir: "Schreib ihm ein Briefchen, er wartet nur darauf,dich einladen zu können und selbst auf Gegenbesuch eingeladen zu werden". Dani sollte recht behalten, doch nun wieder zurück in die Mittelasiatische Unterwelt:

Aschid- Unkur war eine andere Höhle in dieser Gegend. Wir stiegen durch einen künstlichen Stollen ein, es tat gut der Mittagshitze entfliehen zu können.

Schnüffel, schnüffel, was riecht hier so? Scheiße!- genauer gesagt Fledermausscheiße, Heerscharen von Fledermäusen hängen von der Decke, sie schreien und schimpfen uns aus, lassen kleine schwarze Kügelchen auf unsere Köpfe fallen und flattern aufgeregt umher. Hunderte von Tieren suchen hier Kühlung, vielleicht sind es sogar Tausend.

Vor uns wird es hell, wir kommen an einen Tagschacht. Dies ist der natürliche Eingang der Höhle, hier fliegen die Tiere ein und aus- und wie sie dies tun, ästhetisch schrauben sie sich den Schacht hoch oder gleiten wie ein Bussard die Flughäute weit gespannt hinab.

Es ist ein erhebender Anblick. Die Flughäute sind durchscheinend, jeder Finger deutlich zu erkennen, stundenlang wollte ich sitzen und zusehen. Wenn man als Älbler gewohnt ist, die "Regenschirme" nur eingeklappt zu sehen ...

Am 21.Juli '91 war unsere Reise losgegangen. Wir, das heißt Heidi Andre und ich fuhren per Bahn via Prag nach Moskau, eine Touri- Runde auf'm Roten Platz und am nächsten Tag mit Aeroflot nach Bischkek (früher Frunze).

Wassiliji erwartete uns schon auf dem Flughafen. Die nächsten Wochen sollte er unser Freund, Führer und Dolmetscher sein.

Die ersten Tage verbrachten wir in der Stadt, Akklimatisation, Sight Seeing und Geselligkeit standen auf dem Programm. Die Stadt ist russisch geprägt, sozialistische Plattenbauweise und breite Straßen bilden das Stadtbild.

Von hier aus machten wir einen Ausflug ins nahe Gebirge, bestiegen den Gipfel Box (4200mNN) und besichtigten den Eingang einer Gletscherhöhle. So verbrachten wir die erste Woche im Großraum Bischkek. Von dort ging es dann per Flugzeug weiter in die südlich des Tien-Schan im Fergana-Tal gelegene Stadt Osch.Schlagartig änderte sich nun die Umgebung. Osch ist eine jahrhundertealte orientalische Stadt. Schon Sulejman soll hier den Islam verkündet haben. Die Stadt ist stark orientalisch geprägt, seit Perestroika und Glasnost werden in Osch auch wieder Moscheen gebaut.

Nicht weit von Osch liegt Arawan, hier hielten wir uns die nächste Zeit auf. Die Stadt liegt am Fuße des Bergrückens Tschil-Ustun, hierin liegt die gleichnamige Höhle und der Speläo-Club der Stadt heißt ebenso. Mit dem Club, der uns sehr freundlich empfangen und bewirtet hat, besuchten wir dann die schon genannte Höhle. Ein 80m hoher Aufstieg führte uns zum Portal. Die Höhle schützt ihren Schatz- wie fast alle kirgisischen Höhlen- durch einen schrecklichen Eingangsschluf, "zum Schlufen bin ich eigentlich nicht so weit gereist- oder liegt es nur an der mittelasiatischen Küche?"

Hauptsächlich liegt es an dem Unmassen von Sinterkalk, der den Raum verfüllt.

Wie war erst unsere Begeisterung, als wir die Endhalle erreicht hatten- ein riesiger Raum, so groß, daß das Licht der Stirnlampe niemals den ganzen Raum erreicht, die Lichter der Kameraden werden in der Ferne zu kleinen Pünktchen und all diese Pracht ist verschwenderisch mit Tropfsteinen ausgestattet.

Eine zentrale Sintersäule verzaubert uns besonders, oftmals kommt sie mir vor, als sei sie gewachsener Fels- Sintergebäude ist wohl der richtigere Ausdruck für diesen riesigen Klotz!

Arawan war nun für uns das Basislager, von hier aus erkundeten wir die nähere Umgebung

und machten uns mit der Kultur vertraut.

Die Gastfreundschaft in diesem Land beeindruckt uns, oftmals weden wir von Unbekannten auf eine Tasse Tee, Wassermelone oder einem Mittagsmahl eingeladen...

Von hier aus machten wir auch Ausflüge in den Süden und besichtigten die beiden Höhlen Surpris-Pjeschera und die Aschida-Unkur,die anfangs beschrieben waren.

Unsere Reise neigte sich nun dem Ende zu, ein Rundflug über den Pamir und der Rückflug nach Frunze, beide Flüge mit einem kleinen Propeller-Doppeldecker, rundete unseren Aufenthalt ab ,bevor wir Kirgisien via Alma Ata verließen ,um den chinesisch geprägten Teil des östlichen Orients in der chinesischen Westprovinz Xinxiang weiterzuerkunden.Schade, daß wir nach nur 23 Tagen die Sowjetunion wieder verlassen mußten, jedoch haben wir die Hoffnung ,schon bald wieder zurückzukehren in dieses Land ,das uns so sehr faszinierte.

LITERATUR:

W.N.Michajljow

Der Karst Kirgisiens

Frunze ILIM 1989 ISBN-5-8355-0145-5

148 Seiten russ. mit deutschen Erläuterungen

Kurzbeschreibung des Autors:

Harald Harry Kirsamer

aufgewachsen in und auf der Schwäbischen Alb (Laichingen)

anzutreffen in China und der früheren Sowjetunion,in den Kalkalpen oder in der Laichinger Tiefenhöhle als Höhlenführer für jung und alt.

Student der Geologie