Mörkhöhle – Die fast vergessene „Alte Lady“

von Georg BÄUMLER

"In den Canyons der Mörkhöhle" - vom ersten bis zum letzten Wort habe ich dieses Kapitel aus H.W. Frankes Buch "In den Höhlen dieser Erde" mit Begeisterung gelesen. Was wohl aus dieser interessanten Fortsetzung geworden war? Ich horchte mich um, doch niemand konnte mir genaueres sagen. Lange glaubte ich, daß sich seit dem Erscheinen dieses Buches einiges in der Höhle getan haben mußte. Und als junger Höhlengeher hatte ich vor allem ein Ziel: Auch einmal solch eine Höhlentour zu machen, wie "damals".

Jahre vergingen, und mittlerweile hatte ich zahlreiche Höhlenfahrten und Expeditionen hinter mir. Durch den Kontakt mit den richtigen Leuten wußte ich nun aus sicherer Quelle, daß sich seit jener Tour 1975 niemand mehr dorthin verirrt hatte. Es schien sich also wahrlich um keinen Spaziergang zu handeln. Trotzdem ging mir die Mörkhöhle nie aus dem Kopf. Seit einiger Zeit hatte ich auch die alten Pläne zuhause in der Schublade, mit dem Anschlußmeßpunkt....

Im Januar 1992 nahm die "Aktion Mörkhöhle" plötzlich konkrete Formen an. Ich kam gerade von einer Asienreise zurück, hatte Lust auf eine "kalte Höhle" , und fragte so nebenbei bei einigen Freunden an, ob vielleicht jemand Lust hätte auf "hartes Neuland". Und bevor ich mich versah, waren wir ein sechsköpfiges, schlagkräftiges Team:

Heidrun André, eine der zähesten Forscherinnen unserer Zeit, der wirklich keine Fortsetzung zu weit entfernt ist. (Total unfitte Forscherin, aber wichtige Expeditionsschneiderin. Anmerkung Heidrun). Harry Kirsamer, der mit seinem Tatendrang stets Schwung in die Gruppe bringt. Dann die zwei "Dachtlianer", nämlich Renate und Uwe Kalmbach, zwei alte "Schachthasen", die bei Forschungen im Toten Gebirge bereit viel geleistet haben. Schließlich Nikolaus Löffelhardt als Expeditionsarzt mit Spürsinn (hatte allerdings nicht mal ein Pflaster dabei -Anmerkung der Redaktion) und ich.

Ein kurzes Telefonat mit Günther Stummer von der höhlenkundlichen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien, und er arrangiert für uns freundlicherweise die Benutzung der "Emmahütte" mit Robert Seemann und Siegfried Gamsjäger.

An dieser Stelle all diesen Beteiligten nochmals unseren herzlichen Dank !

Ohne die "Emmahütte" die unweit der Höhle liegt, wäre Forschung in der Mörkhöhle ziemlich unmöglich.

Wir erreich die Emmahütte am 28.01.92 am späten Nachmittag. Es braucht eine Weile, bis wir die Kälte ihr vertrieben haben, denn es hat etliche Minusgrade. Der Schnee ist fest gefroren, man kann auf ihm laufen, ohne einzusinken. Und dazu noch Sonnenschein!

Wie herrlich! Wirklich ideale Bedingungen für eine Tour. Wir können mit wenig Wasser in der Höhle rechnen.

Am nächsten Tage steige ich um 11 Uhr mit Uwe und Heidrun in die Höhle ein. Die zweite Gruppe folgt eine Stunde später, damit sie nicht so lange warten muß, bis wir die Seile eingebaut haben. Von den Seilbefestigungen unserer Vorgänger ist nur wenig brauchbar, doch mit dem Akku-Bohrhammer sind ja heutzutage moderne Seilaufhängungen in kürzester Zeit kein Problem mehr.

Zwei Stunden später treffen wir in der Zweistromhalle zusammen. Optimales Timing. Hier trennen sich unsere Wege. Niko, Harry und Renate schauen sich auf diesem Niveau nach Neuland um, Niko ist schon in einem engen Schlupf verschwunden. Nachdem er einige Steine zur Seite geräumt hat, ist weiteres Vordringen möglich. Dieser Schluf wird "Schwabenquetsche" genannt. Das dahinterliegende Neuland wird an diesem und am nächsten Tag auf über 160 Meter Länge vermessen. Heidrun, Uwe und ich halten uns rechts und klettern in den Konglomeratcanyon hinab, der 1971 entdeckt wurde.

Nach einem kurzen Seilabstieg kann man zunächst bequem auf dem mäandrierenden Grund dahingehen. Bald wird es jedoch zu eng und es gilt, sich einige Meter über dem Grund fortzubewegen. Teilweise kleben noch Konglomeratbrekzien an den Wänden, die von einer ehemaligen Aufschotterung dieses Höhlenteils zeugen. Ein Großteil dieser Auffüllung wurde dann später vom Wasser wieder ausgeräumt.

Nach zwei Schachtabstiegen wird der Konglomeratcanyon zum Nordcanyon. Unabsehbar hoch bzw. tief, irgendwo zwischen Grund und Decke ist er breit genug, daß man sich als Mensch hindurchquälen kann. Üblicherweise sind solche Canyonstrecken mit Bändchen versehen, auf denen man mehr oder weniger bequem umherspreizen kann. Nicht so der Nordcanyon. Er verlangt hauptsächlich Stemmerei zwischen glatten, nassen und lehmverschmierten Wänden.

Durch den ständigen Kontakt mit der feuchten Wand sind wir bald bis auf die Haut durchnässt, etliche Tropfstellen tun ihr übrigens.

Hut ab vor den Erstbegehern !

Ich hätte am liebsten an der einen oder anderen Stelle umgedreht. Doch weiter geht's. Wir begrüßen die Stellen, an denen sich Felsbrocken und Geröll im Profil verklemmt haben, sie bieten die einzige Möglichkeit, um sich ein wenig zu erholen. Dann gehen die Wände mal auseinander und es gilt, einen Schacht zu queren. Tief unten sieht man den Bachlauf blitzen.

Und der nächste Schachtabstieg. Zwei alte Felshaken sind noch ganz gut brauchbar. Jetzt kann es eigentlich nicht mehr weit sein. Und wieder ein Schacht, den unsere Vorgänger unmöglich geklettert sein konnten. Wo haben die bloß Ihr Seil festgemacht? Weit und breit keine Felsnase oder Haken. Also rasch zwei Dübel in die Wand gedrückt und hinab. Doch unten finde ich es überall zu eng. Uwe findet einen Durchschlupf übelster Art. Später, beim Rückweg können wir diese Stelle weiter oben umgehen und sparen so auch noch unseren letzten Seilaufstieg. Das war auch der Weg unserer Vorgänger. Befahrungsspuren gibt es halt kaum in der Gegend. Nur ein Karbidrest brachte uns auf die Spur.

Endlich, um 7 Uhr abends erreichen wir den Umkehrpunkt der legendären 1975er Tour.

Wir haben noch zwei Seile übrig, insgesamt vielleicht 45 Meter. Ich habe Sorge, daß es reicht, denn Franke schreibt von einem 40-Meter-Strick, der damals zu kurz war. Wie erfreut bin ich, als ich nach 23 Metern einen Standplatz, und nach weiteren 7 Metern den Grund mit Bachlauf erreiche. Am Seil hängend sieht es zunächst so aus, als ob ein zweiter Canyon an dieser Stelle einmündet, vom Grund aus sieht man aber, daß es ein und derselbe ist. Nur etwas verschachtelt.

Unten geht es nicht (!) geräumig weiter. Einige vom Wasser durchflossene Kriechstellen, eine Kletterstelle über zwei Wasserfällen, dazwischen tiefe Pfützen. Und wieder fließt der Bach in ein kleiner Loch. Ich habe keine Lust, vorwärts hineinzukriechen, und krabble mit den Füssen voran, sorgfältig darauf bedacht, nicht gänzlich im Wasser zu liegen. Nach einigen Metern bemerke ich jedoch, daß ich mit den Füssen schon ziemlich im Wasser bin. Eine Stauzone! Nichts wie raus, leider mache ich dabei nochmal die Bekannschaft des Wassers. Hallejua! Es gibt so viel schöner Neuland im Dachstein, aber das hier...

Von unserem letzten Meßpunkt aus ist die Kluft in einem Winkel von etwa 45 Grad breit genug, um sich darin hochzustemmen. Uwe kommt etwa 20 m weit voran, dann wäre ein Seil zur Sicherung empfehlenswert, weil die Kluftwände wieder auseinandertreten und ein trittloser Schacht gequert werden muß. Einige Steine, die er verschieden weit in die Kluft hineinwirft, landen alle im Wasser. Es scheint sich also wirklich zumindest um eine vorläufige Stauzone zu handeln (?)

Das schließt natürlich nicht aus, daß man über dem Wasser noch wesentlich weiter kommt.

50 Meter, 100 Meter, oder noch mehr ?

Oder vielleicht doch ins Freie? Der geringe Luftzug läßt mich an letzterem zweifeln. An einer Stelle beobachtete ich Luftzug Richtung Norden, also bachabwärts, was in wasserdurchfluteten Gängen normal ist. An einer anderen Stelle im Nordcanyon jedoch bachaufwärts, sogar knapp über dem Wasser, was bei Bachläufen eher selten ist. Wäre irgendwo weiter unten ein größerer luftoffener Ausgang, müßte deutlichere und eindeutige Wetterführung nach oben (Winterphase) vorhanden sein, natürlich abgesehen von Turbulenzen aufgrund des Wassers, das die Luft mitreißt.

Sei es wie es will, vorläufig gibt es keinerlei Anzeichen dafür, daß der Nordcanyon seine Richtung bzw. seinen forscherfeindlichen Charakter ändert. Wir konnten ihn noch ein ganzes Stück einsehen. Während ich auf Uwe warte, muß ich wieder an Heiner Thalers Zitat aus "Die Höhle" denken:

Zumindest meine Knie und Ellenbogen sind momentan ziemlich "verbraucht" und ich freue mich auf die Emmahütte. Es ist inzwischen 9 Uhr abends. Wir bauen die Seile bis zur Zweistromhalle wieder aus und erreichen um 3 Uhr früh den Höhlenausgang. Müde, aber zufrieden stapfen wir die paar Schritte zur "Emma". Es hat schon was für sich, festen Boden unter den Füssen zu haben und laufen zu können, richtig laufen!

Literatur:

THALER, Heiner

Die Höhle Heft 1978, Wien 1978

FRANKE, Herbert W.

In den Höhlen dieser Erde, Hamburg 1978

Nachtrag der Redaktion:

1.Wie uns bekannt wurde, verletzte sich Herbert W. Franke bei einer Tour in der Mörkhöhle im Herbst 1992 beim Schachtabstieg so schwer, daß er von der österreichischen Höhlenrettung geborgen werden mußte. Die genaue Unfallursache ist uns nicht mit letzter Sicherheit bekannt, aber offensichtlich hängt der Absturz mit dem PETZL-STOPP ,einem nicht ungefährlichen Abseilers zusammen .

Wir hoffen alle, daß sich Herbert W.Franke von seinen Verletzungen erholt, und daß er in Zukunft auch weiterhin seiner Leidenschaft frönen kann.

Wir wünschen gute Genesung !

2. Aus terminlichen Gründen ist zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Veröffentlichung der neuentdeckten Gangteile möglich. Wir möchten dies jedoch sobald wie möglich in einer unserer nächsten Ausgaben nachholen, zusammen mit einem Bericht von Niko, dessen Gruppe zeitgleich mit der Tour im Nordcanyon das Neuland beim Zweistromland bearbeitete.

Zusammenfassung: Schwäbische Höhlenforscher (hfgn) haben in Zusammenarbeit mit dem Höhlenverein Hallstatt-Obertraun im Januar 1992 in der Mörkhöhle (1547/12) Dachstein, Österreich, eine Fortsetzung des Nordcanyons sowie einen Abzweig beim Zweistromland erkundet. Vermessen wurden 160m Neuland, somit beträgt die vermessene Gesamtlänge der Höhle 2250m, die Gesamttiefe -220m .

Abstract: Cavers from South Germany explored in cooperation with the local cavers of Hallstatt-Obertraun the Mörkhöhle (1547/12) Dachstein, Austria and surveyed new areas in the lengt of 160m at Nordcanyon and Zweistromland in January 1992. Actual total length of the cave : 2250 m depth:-220 m.

Sommmaire: Spéléos de l'Allemagne (sud) ont découvert en coopération avec des spéléos de Hallstatt-Obertraun des nouveaux galeries dans Mörkhöhle (1547/12) Dachstein, Autriche. On a topographié 160m chez Nordcanyon et Zweistromland. Longueur totale: 2250 m verticale: -220 m